Marxistische Kritik Nr. 2, Januar 1987
[Vorbemerkung: Die Seitentrennung bezieht sich auf die Original-Ausgabe]
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Leserbrief
[S. 127-132]
Anmerkungen zu Robert Kurz:
„
Die Krise des Tauschwerts“ - eine konstruktive Polemik (s. MK Nr.
1)
Ich hab' die Sach' schon lang heraus. Das Astralfeuer des Sonnenzirkels
ist in der goldenen Zahl des Orions von dem Sternbild des Planetensystems
in das Universum der Parallaxe mittels des Fixstern-Quadranten in die Ellipse
der Ekliptik geraten; folglich muß durch die Diagonale der Approximation
der perpendikulären Zirkeln der nächste Komet mit der Welt zusammenstoßen.
Die Berechnung ist so klar wie Schuhwix. Freilich hat nicht jeder die Wissenschaft
so im klein' Finger als wie ich; aber auch der minder Gebildete kann alle
Tag' Sachen genug bemerken, welche deutlich beweisen, daß die Welt
nimmer lang steht.
(J.N. Nestroy)
Das objektive Heraustreten der gesellschaftlichen Produktion aus den
Grenzen der fiktiven „Wertgegenständlichkeit“ muß sich früher
oder später auch an der erscheinenden Oberfläche mit voller Wucht
bemerkbar machen. ... Das Kapital, das die „miserable Grundlage“ (Marx)
des Reichtums als Ausbeutung lebendiger Arbeit als Wesenskern hat und diese
Grundlage gleichzeitig durch seine eigene Bewegung auflöst, wird und
muß mit aller Gewalt versuchen, den „Wert als Wert“ zu erhalten,
d.h. die leer werdende, ihres gesellschaftlichen Inhalts beraubte Form
als allgemeine Verkehrsform weiterlaufen zu lassen. Das muß katastrophale
gesellschaftliche Kollisionen zur Folge haben.
(R. Kurz)
Der Artikel „Die Krise des Tauschwerts“ befaßt sich ausführlich
mit der in stofflicher Hinsicht produktiven, wertmäßig „aber“
unproduktiven technologischen Arbeit. Ihm liegt eine Auffassung über
das Wesen des Werts zugrunde, die hier auf ihre Korrektheit zu prüfen
ist.
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Die im Aufsatz angesprochenen Beziehungen von Wert und Stoff zur kapitalistischen
Krise werden im Anhang in einem etwas allgemeineren Rahmen behandelt. Die
Kurz'schen Prophezeiungen stehen in der Tradition der marxistischen Krisentheorie,
die die gleichen Fehler aufweist: Verabsolutierung des Werts und Vermengung
von wertmäßigen und stofflichen Aspekten. Die Dualität
beider Sphären wird zwar stets beteuert, in den kühnen Berechnungen
aber einfach unterschlagen. Hierfür hat der Meister selbst ein trauriges
Beispiel geliefert, als er der Nachwelt das Theorem der fallenden Profitrate
(die einmal ganz schön hoch gewesen sein muß) hinterließ.
R. Kurz charakterisiert die naturwissenschaftliche Arbeit zutreffend
als nicht-wertbildend. Im Zug des wissenschaftlichen Fortschritts fällt
die in einem Warenquantum enthaltene Privatarbeit zugunsten der technologischen
Arbeit, die abgetrennt vom konkreten Produktionsprozeß geleistet
wird und in viele verschiedene Produkte eingeht ohne diesen Wert zuzusetzen.
Der Verfasser führt aus (S. 36ff.), wie sich die Kräfte der
Konkurrenz als Triebfeder zur Anwendung der Naturwissenschaft geltend machen:
Die Aussicht auf Extramehrwert spornt die Kapitalisten zur Rationalisierung,
zur Reduktion lebendiger Arbeit an. Notwendige Folge dieser Entwicklung
ist ein Absinken der gesellschaftlichen (Mehr-)Wertmasse.
Welche Bedeutung hat diese Tendenz fürdas Kapital?
„Abstrakt betrachtet, d.h. jedes Einzelkapital für sich genommen,
würde sich ... die absurde gegenläufige Bewegung des relativen
Mehrwerts darstellen, d.h. pro Arbeiter wird mehr Wert angeeignet, während
gleichzeitig die absolute Masse des geschöpften Neuwerts sich vermindert,
weil insgesamt weniger lebendige Produktionsarbeit angewendet worden ist.“
Käme der Wertmasse wirklich irgendeine Bedeutung zu, würde
das Kapital sich durch die Produktion des relativen Mehrwerts tatsächlich
das eigene Grab schaufeln. Die Größe des Werts ist für
die kapitalistische Ökonomie notwendigerweise unwesentlich. Zum Beweis
dieser Behauptung muß ich etwas ausholen.
Der Tauschwert erscheint im Tauschakt als Proportion zweier Warenquanta.
Die offensichtliche Vergleichbarkeit offensichtlich unvergleichbarer Gebrauchswerte
läßt auf die Existenz eines „gemeinsamen Dritten“, des Werts,
schließen, der die Tauschwertrelationen determiniert. Über die
absolute Größe des Werts ist damit noch nichts ausgesagt. Rein
empirisch läßt er sich nur bis auf einen konstanten Faktor bestimmen:
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„Stiegen oder fielen die Werte aller Waren gleichzeitig und in derselben
Proportion, so würden ihre relativen Werte unverändert bleiben.“
(K I [= Karl Marx. Kapital, Bd 1, in: MEW Bd 23. Berlin, Dietz], S. 69).
Durch die Rückführung des Werts auf die gemeinsame Substanz
der abstrakten Arbeit gelingt Marx eine absolute Quantifizierung. Wie man
leicht bestätigt, hätte er aber ebenso gut das Siebzehnfache
der in einer Ware enthaltenen Arbeitszeit als deren Wert definieren können.
Die Lücke des „unbestimmten Faktors“ kann also auch durch eine theoretische
Analyse nicht geschlossen werden. Die Warenbesitzer erliegen also nicht
etwa einer Täuschung, wenn sie (wie gleich gezeigt wird) sich nicht
vom Wert sondern nur von den Tauschwerten leiten lassen.
Ein Beispiel möge dies verdeutlichen: Auf dem Devisenmarkt interessiert
von keiner der dort gehandelten n Währungen deren Wert; die Geldhändler
orientieren sich ausschließlich an den n-1 Wechselkursen.
An dieser Stelle kommt erfahrungsgemäß der Einwand, die
Argumentation bleibe in der Zirkulationssphäre stecken:
„Der absolute Wert der Ware ist dem Kapitalisten, der sie produziert,
an und für sich gleichgültig. Ihn interessiert nur der in ihr
steckende und im Verkauf realisierbare Mehrwert.“ (K I, S. 338).
Prüfen wir, was es mit der angeblichen Realisation des Werts auf
sich hat. Ein Kapitalist möge den ihm durch die Ausbeutung zugefallenen
Mehrwert „realisieren“ wollen. Da er ihn nicht aus dem Mehrprodukt herausfiltern
kann, muß diese „Realisation“ über den Tausch erfolgen. Selbst
wenn es ihm gelingt, das Mehrprodukt zu verkaufen, also gegen die Geldware
einzutauschen, hat er damit keineswegs den Mehrwert realisiert; er hat
nur erreicht, daß sich das Mehrprodukt in einer anderen Ware (hier:
der Geldware) darstellt. Die eingetauschte Ware hat nämlich Wert,
ist aber (genauer: eben deswegen) nicht Wert. Da es die körperlose
„Realisation des Werts“ nicht gibt, verhält sich der Kapitalist de
facto wie der Spekulant am Devisenmarkt; auch für ihn ist nur der
Tauschwert (bzw. der Preis), nicht aber der Wert maßgebend. Den Kapitalisten
interessiert also weder der Mehrwert noch allein das ihn enthaltende Mehrprodukt
sondern dessen Äquivalent: Der Profit, das in Geld verwandelte Mehrprodukt,
das einzige Maß für das Gelingen der Ausbeutung. Gleichwohl
steht die Erzielung des Mehrprodukts den objektiven kapitalistischen Interessen
immer noch näher als die Produktion des Mehrwerts. Jenes muß
nur die Geldgestalt annehmen, während jener nirgends erscheinen kann
(Bestes Beispiel ist der Produzent der Geldware, dessen Profit mit dem
Mehrprodukt zusammenfällt; der Mehrwert ist ihm ziemlich gleichgültig.)
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Der Verfall des Werts einschließlich des Mehrwerts birgt für
die Kapitalisten keine Gefahr; er ist nicht einmal „absurd“. Ob er sich
auch lohnt, hängt von der Auswirkung auf die Profitrate ab.
Robert Kurz registriert die Unmöglichkeit, den Wertverfall durch
eine (quantitative oder qualitative) Ausdehnung der Produktion zu kompensieren:
„In diesem Fall führt die stofflich-technologisch vermittelte
'Steigerung der Rate des Mehrwerts' tatsächlich zum Fall der 'erzeugten
Masse des Mehrwerts und daher der Rate des Profits', d.h. ...“.
Die Notwendigkeit einer „Kompensation“ wurde bereits widerlegt. Interessant
ist jedoch die Frage, in welcher Weise die Verwissenschaftlichung der Produktion
die Profitrate beeinflußt. Sie wird im zweiten Abschnitt des Anhangs
beantwortet. Als Nebenprodukt fällt dabei eine zweite, von der obigen
Argumentation völlig unabhängige Widerlegung der „Kompensations-Notwendigkeit“
ab. In enger Anlehnung an den Kurz'schen Aufsatz hat Marx in den „Grundrissen“
das „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“ formuliert; er geht
von einer „enormen Entwicklung der scientific powers“ aus. Grund genug
also, dieses Theorem im vierten Abschnitt des Anhangs zu widerlegen.
Harald J. (München)